Sonntag, 30. Mai 2010

+++Warum ich (k)eine Romanfigur bin - eine Interpretation.

+++Achtung: Dieser Eintrag enthält Spoiler zu dem Buch "House of Leaves" Von Mark Z. Danielewski.
Obwohl ich das Buch "House Of Leaves" vor mehreren Monaten zuende gelesen habe, muss ich sagen, dass es immer noch an und in mir arbeitet. Um zu erklären warum muss ich zuerst ein wenig zum Buch erzählen.
In "House Of Leaves" geht es um Johnny Truant, der die Aufzeichnungen eines Mannes findet, der sich Zampanó nennt. Zampanó war ein blinder Eremit, der seine Wohnung allerhöchstens verlassen hat, um die Katzen im Hof seines Hauses zu besuchen. Doch ist er nicht der Kern des Buches, vielmehr geht es eben um sein Manuskript, in dem er ein Video transkribiert: den "Navidson Record" - die Selbstdokumentation eines berühmten Fotographen (Will Navidson), der den Einzug seiner Familie in ein Haus in der Ash Tree Lane auf Film festhält. 
Nach einer Weile stellt sich jedoch heraus, dass das Haus von innen größer ist als von außen; die Dimensionen ändern sich stetig und eines Tages taucht der Eingang zu einem Labyrinth auf. Obwohl seine Lebensgefährtin (mit der er übrigens zwei Kinder hat) ihn bittet es nicht zu tun geht Navidson seinem Entdeckerdrang folgend in dieses Labyrinth und dokumentiert diese Erkundungen (der Hauptteil des Videos).
 Zum Labyrinth selbst ist einiges zu sagen: 
-es ist absolut dunkel
-die Wände sind aus einem schwarzen, glatten Material
-es erstreckt sich in alle Richtungen unendlich lange
-ab und zu lässt sich ein Geräusch vernehmen, dass einem Tier gleich klingt
-es verändert sich stetig.
Alle diese Dinge treffen (wenn auch nur in geringeren Maßen) auf das Haus zu, in dem die Navidsons leben.
Nun passieren einige Dinge, die halt die Absurdität der bereits geschilderten Umstände noch einige Stufen weiter treiben: nachdem eine Expedition in das Labyrinth die ersten Todesopfer (unendliches Labyrinth + Schusswaffen = Wahnsinn und Verletzte) fordert "beschließt" das Haus, alle Insassen zu verschlingen (oder zu vertreiben?): Gänge werden plötzlich Enger, Böden verschwinden und geben unermesslich tiefe Abgründe preis und am Ende schaffen es alle bis auf Navidsons Bruder, das Haus zu verlassen. Letzterer fällt in den Abgrund. In tiefster Trauer versunken kehrt Navidson zurück, in der Hoffnung, seinen Bruder im Labyrinth zu finden (Expedition #5). Er findet das Haus wie vorher vor, d.h. die Böden sind da und die Gänge passierbar und fährt mit einem Fahrrad in das Labyrinth ein (ich schildere dies so sehr im Detail, weil dieser Part mich beeindruckt hat). Im Labyrinth stellt er irgendwann fest, dass es bergab geht und er sich nur noch rollen lassen muss. Tagelang zischt er abwärts durch die Dunkelheit, bis er kurz vor einem Abgrund gerade noch rechtzeitig Bremsen kann. Er steigt dann ab, um eine Treppe empor zu klettern (das Buch unterstützt hier den Verlust der Orientierungslosigkeit durch die Veränderung des Layouts - so fand ich mich plötzlich auf der vorhergehenden Seite wieder, weil ich vergessen hatte, dass ich das Buch an einer Stelle um 180° drehen musste, um den Text zu lesen. Er kommt nun in einen Korridor, der immer enger und enger wird (wieder unterstützt durch das Layout) und gelangt schlussendlich an eine Öffnung, durch die er auf eine Plattform klettert, die im nichts zu schweben scheint. 
Plötzlich verschwindet sogar die Wand, durch die er kam, und er hängt mit der Plattform mitten in der Luft.
Er ernährt sich von seinem Proviant, so gut es geht, und versucht, Licht zu erzeugen, um sich wohl zu fühlen und um sich mit einem Buch die Zeit zu vertreiben, und noch Bilder mit seinen Kameras produzieren zu können. Er liest: "House Of Leaves". 
Meine Reaktion darauf:
Das Zampanó Transkript findet hier ein Ende, nachdem Navidson in die Dunkelheit fällt und stirbt, woraufhin seine Frau die Videos als den "Navidson Record" veröffentlicht, in der Hoffnung, Antworten auf die Rätsel des Hauses in der Ash Tree Lane zu finden.
Das Buch selbst geht jetzt einen Schritt weiter nach draußen, zurück zu Johnny Truant. Dieser ist von Zampanós Aufzeichnungen so verwirrt, dass er unbedingt den Tatsachen auf den Grund gehen muss. Zuerst stellt er fest, dass keine der Quellen, die in Zampanós Manuskript zitiert wurden existiert. Desweiteren war Zampanó blind, d.h. er hätte niemals irgendein Video sehen können.
Dennoch reist Johnny auf der Suche nach Antworten herum und trifft auf eine Gruppe Musiker, die ein Lied spielen, dass sich auf den Navidson Record bezieht. Auch sie führen eine Ausgabe von "House Of Leaves" mit sich, jedoch ohne Truants Beiträge darin, außerdem wird sein Name als der Name des Autors angegeben.
Der Rest des Buches behandelt Truant, der irritiert durch die Welt taumelt und versucht, dem Buch selbst auf den Grund zu gehen - eine Situation, in der ich mich selbst befinde.
Zuerst einmal ist es natürlich erstaunlich, dass das Buch in sich selbst zwei mal auftaucht. Die Personen können ihre eigene Geschichte lesen und müssten doch (ähnlich wie in der unendlichen Geschichte) sich selbst wiedererkennen, oder?
Außerdem müssten sie ja auch vorwärts blättern können, und so sehen, was auf sie zu kommt.
Sie tun es aber nicht. Ihre zeitliche Wahrnehmung bleibt damit punktuell, sie erleben nur die Sekunde, in der sie sich gerade befinden.
Sie sind Figuren in einem Buch, welches sie selbst lesen können. Sie bringen Zeit damit zu, sich mit einem Werk zu beschäftigen, in dem ihre Realität geschildert wird.
Warum das ganze? Was wollte Danielewski ...?
Ich befinde mich, wie gesagt, in einem Stadium wie Johnny Truant und versuche dem ganzen auf den Grund zu gehen. Habe ich es hier, ähnlich wie er, mit dem sinnlosen Gebrabbel eines Wahnsinnigen zu tun?
Was sagt dieses Buch tatsächlich über uns? Über mich? Über die Realität, in der wir uns befinden? 
Nehmen wir an, ich sei also auch eine Romanfigur in einem Buch namens "House Of Leaves", irgendjemand liest also meine Lebensgeschichte nach. Würde ich das jemals mitbekommen? Nein, natürlich nicht. Ich könnte auch nicht vorblättern, nicht zurückblättern (der Leser könnte das natürlich - er nimmt also die Zeit als ein ganzes wahr, während ich mich auf das jetzt beschränken muss) und doch kann er ja nicht alle Seiten gleichzeitig lesen.
Und er kann sich nicht sicher sein, ob sich das Buch nicht verändert, wenn er es nicht beachtet - während gleichzeitig seine Erinnerung verändert wird. Falls als irgendein Ereignis eintreten sollte, dass den normalen Fluss der Zeit verändert (Zeitreise?) so könnte es sein, dass dem Leser das überhaupt nicht klar ist.
...
Und mir?


(Ist überhaupt noch jemand nicht komplett verwirrt?)


Hmpf.
Dieses Buch arbeitet einfach viel zu sehr an mir und ich kann es niemandem erklären, der es selbst nicht liest. Es nimmt alle Instrumente, die wir brauchen um uns in der Welt zurecht zu finden und stellt sie falsch ein. Oder anders. Vielleicht auch richtiger als jeh zuvor.
Versuchen wir es nochmal von vorn. 
Ich glaube, alle Figuren des Buches sollen Teile des Lesers darstellen: Will Navidson ist die Neugier des Lesers. Als erfahrener Fotograph hat er schon einiges gesehen, einiges festgehalten (es wird wohl kaum einen wirklich unerfahrenen Leser geben, der sich an House Of Leaves herantraut, ohne es nach den ersten 10 Seiten aufzugeben). Zampanó hingegen ist ein weiterer Teil des Verstandes des Lesers: er kann nicht alle Details des Buches aufnehmen. Genau genommen kann er sich nur auf etwas sehr grobes beschränken, denn er liest nur den Bericht über etwas, was vielleicht oder auch nicht jemals geschehen ist - genau wie Zampanó, der durch seine Blindheit gar nicht fähig gewesen sein kann, den Navidson Record zu sehen. Johnny Truant ist der analytische Verstand des Lesers, der mit seinen unzureichenden Mitteln versucht, das Buch zu verstehen, seine Essenz zu durchdringen und am Ende mit einer Erklärung für die Ereignisse da zu stehen.
Diese Verbindungen werden ja dadurch gezeigt, dass die Figuren, wie der Leser selbst, mit dem Buch konfrontiert werden. Auch das Labyrinth, das in meinen Augen eine Metapher auf den Verstand ist (vorallem, da es sich scheinbar durch das Unterbewusstsein beinflussen lässt) deutet darauf hin.




















...




Ich habe das Gefühl, als wäre ich keinen Schritt weiter.
Gute Nacht.

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